Pia Heckes

Spaziergang durch die Muffendorfer Geschichte

VON DER ALTSTEINZEIT INS 21. JAHRHUNDERT

Einleitung Vorgeschichte Antike Mittelalter Neuzeit Literatur

Muffendorf in der Antike

Römerzeit

Soweit nicht Quellentexte antiker Schriftsteller oder Historiographen überliefert sind, ist man auch hier auf die Erforschung von Bodenfunden angewiesen. Bodenfunde aus dem Spät-Latène, die beim Bau der Elisabeth-Mayer-Straße ergraben wurden, beweisen, dass schon im 1. Jahrhundert v. Chr. sich in Muffendorf ein befestigter Hof, der durch einen Graben gesichert war, befand. Kelten lebten hier.

Cäsars Legionen eroberten Gallien bis zum Rhein hin (58 bis 51 v. Chr.), verdrängten die um Bonn herum lebenden Eburonen, forcierten die Zuwanderung der Ubier. Insbesondere die Legio I Minervia, die im Jahre 83 unter Kaiser Domitian nach Bonn verlegt wurde und über 200 Jahre lang die Kultur der Stadt und der engeren Region prägte, hat ihre Spuren hinterlassen, genetisch ebenso wie kulturell lange nachwirkend. Franken folgten und hinterließen ihre Spuren ebenfalls in der „Völkermühle am Rhein“ (Carl Zuckmayer: „Des Teufels General“).

So fand man folgerichtig auch römische Spuren in Muffendorf: bei der Sanierung von Alt St. Martin an der Martinstraße zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Im Seitenaltar der Kirche war ein römischer Weihestein mit Inschrift vermauert, den man aus der unmittelbaren Nähe herangeschafft hatte. Wahrscheinlich ist er aber nicht nur wegen des Steinmaterials im Altar vermauert worden, sondern um den von den mittelalterlichen Christen bekämpften Götzendienst an einem römischen Altar zu unterbinden. Dies geschah, in dem man die Weihestätte christlich überformte und den Stein, der einstmals nach dem Willen des Stifters, Gaius Scribonius, den Weiheplatz markierte, zum christlichen Altar umwidmete, so dass seine einstige Funktion nicht mehr erkennbar war und er dem neuen christlichen Kultus zu dienen hatte. (Die Nachbildung des Steins steht heute in der Grünanlage am Remi-Baert-Platz, das Original befindet sich im Rheinischen Landesmuseum in Bonn).

Nachbildung des Diana-Steins (Aufgenommen 2011); Die Inschrift lautet: "C. Scribonius / Genialis. leg. Augg. / leg. l. M. p. f. templum / Sanctissimae / Deae Dianae / ponendum curavit." Zu Deutsch: Caius Scribonius Genialis, Legat der kaiserlichen Ersten minervischen Legion, der braven, getreuen, ließ diesen Tempel der erlauchtesten Göttin Diana errichten.
Abb. 5: Nachbildung des Diana-Steins (Aufgenommen 2011); Die Inschrift lautet: "C. Scribonius / Genialis. leg. Augg. / leg. l. M. p. f. templum / Sanctissimae / Deae Dianae / ponendum curavit." Zu Deutsch: Caius Scribonius Genialis, Legat der kaiserlichen Ersten minervischen Legion, der braven, getreuen, ließ diesen Tempel der erlauchtesten Göttin Diana errichten.

Im übrigen befindet sich Alt St. Martin auf einem kleinen Geländesporn, der in der Antike den Blick freigegeben haben wird über das Rheintal, das durch intensive Beweidung und wirtschaftliche Nutzung bis weit in das 20. Jahrhundert hinein wenig bewaldet gewesen ist, wie alte Luftbildaufnahmen noch der 1930er Jahre beweisen (Hansa-Luftbilder, Bez.-Reg. Köln, Geodienst, Archiv) und auf den Godesberg. Dies mag von besonderer Bedeutung gewesen sein, denn in Godesberg hat sich die Sage überliefert, dass der römische Kaiser Julian Apostata (*331 †363) einen Tempel oder eine Burg auf dem Godesberg errichtet habe. Auch wird vermutet, dass es römische Signalfeuer verbunden mit einem Burgus (3./4. Jh.) dort gegeben habe, so dass der Geländesporn in Muffendorf den Blick dorthin ermöglicht hat und somit ein strategischer Ort gewesen wäre. Die spätere Datierung des Burgus aufgrund der Fundamentfunde eines für die Zeit typischen Rechteckbauwerkes entspricht der sagenhaften Verbindung zu Julian Apostata. Auf jeden Fall wird die Sichtachse zum Godesberg bedeutend gewesen sein.

Die alten Schulhäuser, Martinstraße 3 und 5 (um 1900)
Abb. 6: Die alten Schulhäuser, Martinstraße 3 und 5 (um 1900)

Im erhabenen Angesicht der Sieben Berge, die sich auf dem gegenüberliegenden Rheinufer erstrecken, mag ein römischer Tempel oder eine Villa mit Weiheplatz in dieser Lage gut vorstellbar sein. Bereits im späten 19. Jahrhundert erwähnt Alfred Wiedemann „an der linken Seite des Fusspfades, der zu Muffendorf oberhalb des Dorfes von dem Schulhause (gemeint ist hier das alte Schulhaus in der Martinstraße) aus nach Süden führt, etwa halbwegs nach der von der ehemaligen Commende nach dem Haiderhof hinauf führenden Einsattelung zahlreiche Bruchstücke römischer Ziegel und Gefässe in den Weinbergen und Aeckern finden, so dass hier wohl eine römische Ansiedlung gelegen haben wird“ (BJb 90, S. 203). Leider ist der Fundort nicht genauer bezeichnet. Auch in den Unterlagen des Rheinischen Amtes für Bodendenkmalpflege in Bonn (RhAB) findet sich dazu nichts Ergiebigeres. Nach der Beschreibung könnte es sich um den Hang unterhalb des Friedhofes handeln. Römische Funde sind dort in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg nicht gemeldet worden. Funde römischen Materials in einer Baugrube in der Muffendorfer Hauptstraße (ca. 1933, RhAB) und am Hang unterhalb der Elisabethstraße (BJb 139, S. 210) sowie oberhalb des Lyngsberges (ebenfalls in den 1930er Jahren gefunden, RhAB) beweisen aber die Anwesenheit römischer Siedler in Muffendorf. Groeteken erwähnt in seiner „Geschichte Godesbergs“ (Teil II), dass sich bei Ausschachtungsarbeiten in Muffendorf Reste einer befestigten Römerstraße gefunden haben, die über Muffendorf Richtung Lannesdorf geführt haben soll (1956, S. 51).

Spätantike, frühes Christentum

In diesem Zusammenhang muss auch das Jahr 310 erwähnt werden, als Konstantin der Große, mit dem das Christentum Einzug hielt, in Köln eine Brücke über den Rhein schlagen ließ, um die beiden großen Römerlager Köln und Deutz miteinander zu verbinden. Dies steht nicht in einem direkten Zusammenhang mit Muffendorf, macht aber deutlich, wie sehr das engere Rheinland rings um Köln in den Fokus der römischen Herrschaft gerückt war. In das erste Drittel des 4. Jahrhunderts werden die ersten Bischofsweihen datiert, so die Weihe des Maternus (†328), der als der erste Bischof von Köln gilt. Um 400 begann der Niedergang der römischen Provinz Germanien durch die Verlagerung großer Truppenteile nach Italien, was das Land am Rhein schwächte (vgl. Corsten 1964, S. 87), und Möglichkeiten für Übergriffe eröffnete. Das Ende der Römerherrschaft im Rheinland kam mit dem Jahr 451 als die Hunnen plündernd und mordend den Rhein entlang zogen. Von diesen Hunnenzügen existieren bisher keinerlei archäologische Befunde. Aber eine Folge war, dass die römische Herrschaft gebrochen war, und die Franken aus dem Dunkel der Geschichte auftauchten, die nach Gallien und Germanien einwandert waren. Ein recht anschauliches Bild, soweit die spärlichen Quellen aus der Zeit dies zulassen, findet man bei Becher 2011, der auch die Reihe der Frankenkönige von Gennobaudes (um 289) bis hin zu Chlodwig aufzuzeigen weiss (S. 113). Die Zeit der Völkerwanderung wird von einigen Wissenschaftlern im Zusammenhang mit der Veränderung des Klimas in Mitteleuropa gesehen. Während der Römerzeit herrschte ein „Klimaoptimum“, dem ein „Klimapessimum“ (von etwa 370 bis 570) folgte, das eine Verschlechterung der Lebensbedingungen mit sich brachte und so möglicherweise zum Auslöser der Wanderbewegungen wurde. Als besonders kalt und mit aussergewöhnlichen Klimaereignissen verbunden werden die Jahre 535 und 536 angesehen.

Die Merowinger

Alt St. Martin, Blick ins Innere; Zustand vor der Renovierung im Jahre 1913
Abb. 7: Alt St. Martin, Blick ins Innere; Zustand vor der Renovierung im Jahre 1913

Die fränkischen Merowinger wurden zu den Herrschern der ehemals provinzial­römischen Gebiete, und so gelangen wir von der Antike in die Spätantike bzw. ins frühe Mittelalter: ebenfalls bei der Sanierung von Alt St. Martin nach 1910 fand man unter dem Fußboden eine Reihe von fränkischen Gräbern, über denen das erste Kirchengebäude errichtet worden war. Dies wirft Fragen auf, die zu beleuchten im folgenden etwas weiter ausgeholt werden muss.

Das Martinspatrozinium gehört zu den ältesten Patrozinien, insbesondere Clothilde (Chrodechild von Burgund, *474 †544), Gattin des Frankenkönigs Chlodwig (*466 †27.11.511), stiftete zahlreiche Kirchen, oftmals bei den Königsgütern, die dem Hl. Martin von Tours geweiht waren. Ob auch die Muffendorfer Kirche damit in Zusammenhang steht, ist nicht urkundlich belegt. Aber der Fund der fränkischen Gräber unter dem Fußboden beweist, dass ein Grabmonument oder ein nachantiker Weiheplatz bereits lange vor der ersten urkundlichen Erwähnung der Kirche anfangs des 10. Jahrhunderts (s.u.) bestanden haben muss. Für den Übergang von der Antike zum Mittelalter bzw. in der Spätantike ist die Forschung bisher davon ausgegangen, dass Christen bereits sehr früh in Bonn nachgewiesen werden konnten. Bei archäologischen Grabungen fand man eine Glasschale mit christlichen Motiven, die sich in die Mitte des 4. Jahrhunderts datieren lässt. Grabungen am Bonner Münster haben ergeben, dass bereits um 350 für Bonn eine christliche Kirche, eine Cella Memoriae, nachzuweisen ist. Der Bezug zur Hl. Helena, die als Gründerin des Cassiusstiftes überliefert ist, wird somit über den zeitlichen Horizont der Funde des antiken Christentums im Rheinland untermauert.

Die Schlacht bei Zülpich im Jahr 496/497 (in der neueren Forschung gilt diese Datierung als umstritten, es werden Daten zwischen 496 und 508 genannt) kann getrost als Markierungspunkt zweier Epochen (für die Geschichtsschreibung) im Rheinland gesehen werden. Zum einen als das Ende der Antike, zum anderen als der Beginn der christlichen Frankenzeit. Wobei allerdings zu berücksichtigen ist, dass der Übergang ein fliessender war, keinesfalls eine eindeutige Zäsur. Denn mit Chlodwig und seiner Frau Chrodechild, auf welche die Gründung zahlreicher Kirchen im Rheinland zurückgeht, beginnt ein neues, christlich geprägtes Zeitalter für das Land am unteren Rhein, zwischen Köln und Reims (vgl. Becher 2011). Die „fränkische Landnahme“ beginnt, Severin Corsten hat diese frühe nachantike Zeit insbesondere mit dem Augenmerk auf fränkische Herrschaftstrukturen untersucht und kommt zu dem Schluß, dass es bereits im 5. Jahrhundert am Rhein einen grundbesitzenden fränkischen Adel gegeben haben muss (1964, S. 91).

Der Heilige Martin von Tours wird zum Königs- und Reichspatron. Das Land „Ripuarien“ am Ufer des Rheins beginnt Gestalt anzunehmen, ein merowingisches Reich zwischen Vinxtbach im Süden (der Bach mündet bei Bad Breisig in den Rhein) und Neuss im Norden, das in etwa der römischen Civitas Köln entsprach, wie Eugen Ewig schreibt (Die Stellung Ribuariens in der Verfassungsgeschichte des Merowingerreiches, Bonn 1969, S. 1). Austrasien (der östliche Teil des merowingischen Königreiches) war bis zu Beginn des 8. Jahrhunderts in fünf Dukate (Herzogtümer) unterteilt, von denen eines Ripuarien war, offenbar mit der Hauptstadt Köln und den Gauen Köln, Bonn, Jülich, Zülpich und Eifel. Für Bonn ist die mittelalterliche Bezeichnung Bonn-Gau (Punnegau) belegt. Hierzu gehörte eben auch Muffendorf. Man muss sich die Zeit vorstellen als eine Zeit, in der sowohl antike Traditionen wie auch germanisch-fränkische Kultur nebeneinander bestanden und miteinander verwoben waren, vielleicht kam auch durch gallischer Siedler eingebrachte gallische Kultur hinzu. Das Lateinische war immer noch Umgangssprache der gebildeten Stände, doch langsam vollzog sich der Glaubenswandel von den antiken oder paganen (heidnischen) Göttern hin zu dem Gott der Christen. Für die Stadt Köln ist diese Zeit der fränkischen Landnahme, die Zeit vom 5. bis zum 10. Jahrhundert, in vorbildlicher Weise neuerdings dargestellt worden: Carl Dietmar und Marcus Trier „COLONIA – Stadt der Franken“, Köln 2011. Hier wird ein plastisches Bild dieser Zeit im Rheinland gegeben, fundiert untermauert durch die Auswertung neuer archäologischer Untersuchungen. Eine Veröffentlichung, die längst überfällig war. Wir können uns nun ein Bild machen zumindest vom merowingischen Köln. Die Nutzung antiker Villenbezirke im ländlichen Bereich durch frühmittelalterliche Siedler im Rheinland wird eindrucksvoll dargestellt von Ronald Knöchlein (Die Georgskapelle in Heidesheim, in: Bonner Jahrbücher 207, 2007, S. 121). Für die nähere Umgebung Muffendorfs erwähnt er durch archäologische Funde gesicherte Folgenutzungen in Alfter, Friesdorf, Euskirchen, Kuchenheim, Rheinbach, Weilerswist und Wesseling.

Exkurs: Das Heldenepos „Die Schlacht bei Zülpich“ Gedicht von Karl Simrock (1802-1876), gibt ein eindrückliches Bild, nicht zuletzt auch der Forschungsgeschichte:

„Chlodewig der Frankenkönig sah in Zülpichs heißer Schlacht,
Daß die Allemannen siegten durch der Volkszahl Uebermacht.
Plötzlich aus des Kampfs Gedränge hebt er sich auf stolzem Roß,
Und man sah ihn herrlich ragen vor den Edeln, vor dem Troß.
Beide Arme, beide Hände hält er hoch empor zum Schwur,
Ruft mit seiner Eisenstimme, daß es durch die Reihen fuhr:
"Gott der Christen, Gott am Kreuze, Gott den mein Gemahl verehrt,
So du bist ein Gott der Schlachten, der im Schrecken niederfährt,
"Hilf mir dieses Volk bezwingen, gieb den Sieg in meine Hand,
Daß der Franken Macht erkennen muß des Rheins, des Neckars Strand:
"Sieh, so will ich an dich glauben, Kirchen und Capellen baun
Und die edeln Franken lehren keinem Gott als dir vertraun."
Sprach es, und aus Wolken leuchtend brach der Sonne voller Strahl,
Frischer Muth belebt die Herzen, füllt des schwachen Häufleins Zahl.
Chlodwig selbst ergriff das Banner, trug es in der Feinde Reihn,
Und die Franken siegesmuthig stürzten jauchzend hinterdrein.
Schreck ergriff der Feinde Rotten, feige wenden sie und fliehn,
All ihr Kriegsruhm ist erloschen, ihre Macht und Freiheit hin.
König Chlodwig ließ sich taufen und sein edles Volk zugleich,
Und ob  a l l e n  deutschen Stämmen mächtig ward der Franken Reich.
Wenn sie einst den Gott verlaßen, der bei Zülpich Sieg verlieh,
Ist den Allemannen wieder Macht gegeben über sie.“

(Karl Simrock: Aus der Sammlung Deutsche Mythen und Sagen)


Bildnachweis: Abb. 5 Lars Bergengruen; Abb. 6-7 mit freundlicher Genehmigung des Vereins für Heimatpflege und Heimatgechichte Bad Godesberg e.V.